UNITY Operations AG | 20095 Hamburg
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UNITY Operations AG | 20095 Hamburg
Wer heute als Ingenieur mit REFA-Kompetenz (das Kürzel steht für „Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung“ – klingt sperrig, bleibt aber erstaunlich aktuell) in Kiel einsteigt, muss mehr als technisches Know-how und Methodenwissen mitbringen. Man landet – gewollt oder zufällig – mitten in einem spannenden Spagat zwischen hanseatischer Gelassenheit und hochfrequentem Modernisierungsdruck. Zumindest geht es mir so. Kiel ist eben nicht nur die Stadt, in der man Möwengeschrei und Dieselsirenen hört. Die Wirtschaft schielt längst auf Industrie 4.0, maritime Wertschöpfungsketten und all die schnittigen Prozesse, die sich nicht von allein optimieren.
Schaut man sich den Alltag dieser Berufsgruppe an, ist das Klischee vom krawattierten Zeitmesser schnell widerlegt. Klar, REFA-Methoden – von Arbeitsablaufanalysen über Ergonomie-Initiativen bis hin zu Digitalisierungsprojekten – spielen eine tragende Rolle. Aber ehrlich: Die eigentliche Kunst liegt im Drahtseilakt zwischen analytischer Schärfe und norddeutscher Bodenständigkeit. Wer meint, mit ein paar Normzeiten und Excel-Vergleichen wäre es getan, sollte mal eine frühmorgendliche Besprechung auf einer Werft im Hafengebiet besuchen. Da hilft kein Lehrbuch weiter. Da zählt, ob man den Produktionsleiter auf dem richtigen Fuß erwischt – oder ob man im Pausenraum das Sandwich teilt und Fakten schafft statt PowerPoints.
Berufseinsteiger spüren das besonders. Das Handwerkszeug kommt aus der Hochschule oder speziellen Weiterbildungen, die in der Kieler Region erstaunlich praxisnah sind. Was viele unterschätzen: Die meisten REFA-Aufgaben hier spielen sich in kleinen bis mittleren Betrieben ab, wo eine „Macht-mal-DNA“ vorherrscht. Theorie darf nicht in der Kaffeeküche enden. Prozessvorschläge müssen (meist noch am selben Tag) auf der Werkbank bestehen. Das ist manchmal frustrierend, meistens lehrreich – und fast immer ein Sprung ins kalte Wasser.
Worauf trifft man als REFA-Ingenieur in Kiel? Klar: Schiffbau, Zulieferindustrie, Logistik, zunehmend auch Lebensmitteltechnik – alles Branchen, die von klassischen Zeit- und Prozessanalysen leben. Doch der Wind bläst inzwischen aus mehreren Richtungen: Zunehmende Automatisierung fordert Kreativität, Nachhaltigkeitsanforderungen der maritimen Wirtschaft machen Standardlösungen zum Auslaufmodell. Ein Beispiel, das mir im Gedächtnis geblieben ist: Eine Traditionswerft will auf energiearme Fertigung umstellen, wünscht sich schlanke Abläufe, weniger Ressourcenverbrauch – aber ohne die Belegschaft zu überfordern. REFA-Ingenieure, die hier nicht nur den Taschenrechner, sondern auch das Temperament der Leute im Blick haben, sind gefragt wie nie.
Was die Kieler Szene ein wenig von süddeutschen Industriestandorten unterscheidet? Man trifft häufiger auf informelle Kommunikationswege, wenig Starallüren und gelegentlich eine „Erstmal abwarten“-Mentalität. Wer als Neuling nicht sofort alles besser weiß, sondern sich auf das regionale Tempo einlässt, kommt oft weiter.
Zum Thema Gehalt: In Kiel starten REFA-Ingenieure oft mit 3.000 € bis 3.600 € Monatsverdienst. Klingt okay, schwankt aber spürbar nach Branche, Spezialisierung und Unternehmensgröße. Wer bereit ist, sich in Digitalisierungsprojekte oder den Bereich nachhaltige Fertigung einzuarbeiten, kann schnell jenseits der 4.000 € landen – ein kleiner, aber feiner Unterschied zu den klassischen Optimiererroutinen. Dass es in Ostholstein nicht das Gehaltssystem von Baden-Württemberg gibt, sei am Rande erwähnt. Dennoch: Gute Leute sind gesucht, Wechselwilligkeit wird meist nicht mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert, sondern schlicht akzeptiert. Vielleicht liegt das an der norddeutschen Direktheit.
Wer sich fragt, ob sich das alles lohnt: Ja, durchaus. Nur Geduld braucht man. Weiterbildungen – von agiler Methodenkompetenz bis Lean Manufacturing – sind gut zugänglich, viele Betriebe in Kiel zahlen sie mit, wenn jemand Initiative zeigt. Was mir auffällt: Die spannendsten Projekte entstehen oft am Rand der Komfortzone. Es gibt da diesen leisen Stolz darauf, alte Routinen umzukrempeln, selbst wenn es unbequem wird.
Vielleicht ist das das eigentliche Erfolgsrezept im Kieler REFA-Alltag: Man kennt hier den Wert langer Atemzüge – nicht nur auf der Förde, sondern auch in der Fertigungshalle. Wer bereit ist, mit dem Wind zu arbeiten, nicht immer dagegen, wird hier länger gebraucht, als ihm lieb ist. Oder? Schlusswort spare ich mir (die klügsten Gedanken kommen ohnehin meistens erst später, beim zweiten Kaffee am Fenster, mit Blick aufs Meer).
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