ARTUS AG | Baden-Baden
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Sieht man sie im Fernsehen – die Korrespondentinnen wie einst im Wind auf dem Tahrirplatz, den Stift zwischen Notizblock und Mikro, Weltgeschehen im Nacken – dann vergessen viele: Auch in Stuttgart beginnt ihre Geschichte oft ganz alltäglich, zwischen schwäbischem Latte und dem unübersehbaren Gewerbegebiet Richtung Flughafen. Man fragt sich, wieviel Welt denn eigentlich Platz hat in einer Stadt, die so stolz ist auf Kehrwoche, aber sich zunehmend global vernetzt. Und wie fühlt es sich an, gerade hier – im Herzen Baden-Württembergs – ein Ohr am Puls internationaler Entwicklungen zu haben? Vermutlich komplexer als man denkt. Ich spreche aus Erfahrung, auch wenn ich den Großteil meiner Arbeit am Schreibtisch absolviere, mit mehr Tabs offen als eigentlich gesund wäre.
Wer heute von Stuttgart aus als Auslandskorrespondent tätig ist, lebt in Zwischenräumen. Die gute alte Vorstellung vom ständigen Individualreisenden ist überholt; Realität ist vielmehr: Wer internationale Geschichten erzählen will, koordiniert oft von hier aus Kontakte, Interviews, Fakten – und springt, je nach Ressort und Medium, flexibel zwischen Politik, Wirtschaft, Kultur. Kein Beruf für Puristen. Die Themenvielfalt ist hoch, das Tagesgeschäft verlangt ausgeprägtes Talent zur Improvisation: heute Brüssel, morgen ein Balkandossier, übermorgen eine Eilmeldung aus Ostasien. Hat diese Rolle eigentlich noch Zukunft? In Stuttgart, mit DAX-Konzernen, Institute wie ifa oder engagierter Zivilgesellschaft, lebt das Korrespondenten-Dasein jedenfalls weiter – angetrieben von regionaler Wirtschaftskraft und wachsender Internationalität. Das merkt man übrigens auch am steten Zustrom von Berufseinsteigern – und an Kolleginnen, die aus ganz anderen Redaktionen hierher gezogen sind.
Das Bild vom Dauerjetsetter täuscht. Vieles spielt sich in Meetings, beim Telefon mit Zeitverschiebung und in langen Nächten ab. Zwischenzeitlich frage ich mich, wer das eigentlich alles koordiniert; dabei ist oft Multitasking das heimliche Grundgehalt. Überhaupt, Geld: Der Verdienst ist ein Thema, über das lieber niemand zu viel spricht. Wer fest angestellt ist, beginnt je nach Medium meist bei 3.200 € bis 3.800 €, kann sich mit etwas Berufserfahrung, Auslandsaufenthalten oder ungewöhnlichen Sprachkenntnissen bis auf 4.200 € bis 4.800 € vorarbeiten. Freie Mitarbeit? Spricht man mit Kolleginnen, hört man von 2.600 € bis 3.400 € – und das bei ungleich höherem Risiko. Es bleibt ein Spagat zwischen Haltung und Wirklichkeit, vor allem, wenn man mal wieder Stundenlang für einen Beitrag recherchiert, der in der Redaktionskonferenz mit einem Achselzucken abgelehnt wird. Ist das fair? Nein. Ist das Alltag? Leider oft.
Was Stuttgart von anderen Medienstandorten unterscheidet, ist das Spannungsfeld zwischen provinzieller Tiefe und globaler Weite. Die Stadt selbst ist längst Drehscheibe internationaler Wirtschaft, unterstützt durch starke Forschung und eine Ausländerszene, die vielfältiger ist als viele ahnen. Chinesische Start-Ups, italienische Maintenance-Teams, syrische Kulturvereine – Stoff für Geschichten ist selbst am Neckar reichlich vorhanden. Dazu der politische Wandel: Themen wie Nachhaltigkeit, Energie, Migration und neue Mobilität rufen nach journalistischer Einordnung mit internationalem Fokus. Und ja, digitale Berichterstattung verändert längst das Handwerk. Von Datenanalyse über Multimedia bis hin zu Sprach-KI – wer als Auslandskorrespondent relevant bleiben will, muss den eigenen Werkzeugkasten ständig nachrüsten. Klassisches Schreiben? Ja – aber bitte nicht stehen bleiben. Ich habe es selbst erlebt: Wer sich regional einbringt, bleibt nah am Menschen, auch wenn er global recherchiert.
Manchmal – ich gebe es zu – überkommt einen der Gedanke: Wäre das alles nicht leichter, hätte man sich auf ein enger umrissenes Feld verlegt? Wirtschaftsjournalismus, Inland, Kultur? Und doch, die Mischung aus Herausforderung und Abwechslung bleibt unwiderstehlich. Wer Lust aufs vielschichtige Arbeiten hat (und nicht allzu viel Schlaf braucht), stößt hier auf ein Feld, das im Umbruch doch Charme behält. Weiterbildungsangebote? Von Medienethik über Recherchemethoden bis zu interkultureller Kompetenz – die Bandbreite in Stuttgart wächst, freilich nach Angebot und Nachfrage. Was bleibt, ist die Gewissheit: Auslandskorrespondent in Stuttgart ist kein Routineberuf und selten ein gerader Aufstieg. Eher eine Route mit Umwegen, Abzweigungen und gelegentlichen Sackgassen – aber mit Aussicht. Oben auf dem Killesberg, mit Blick über die Stadt, versteht man dann vielleicht, warum einer hier bleibt. Trotz, manchmal sogar wegen allem.
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