Hensoldt | 77871 Ulm
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Freiburg im Breisgau – Universitätsstadt, angebliches Öko-Paradies, und doch, irgendwo in der Altstadt, ein feines Ticken. Uhrmacher. Ein Beruf, den viele für fast ausgestorben halten. Dabei ist das Gegenteil der Fall – oder, sagen wir, es kommt auf den Blickwinkel an. Wer dem Lärm der digitalen Welt entkommen will, landet oft vor einer gläsernen Werkstatttheke, schaut hinein und fragt sich: Wer wartet, restauriert und reguliert eigentlich diese scheinbar überholten Zeitmesser? Die Antwort: Menschen mit einer Mischung aus Fingerfertigkeit, Geduld und … Nerven wie Drahtseile. Klingt pathetisch? Nur auf den ersten Blick.
Was macht ein Uhrmacher in Freiburg? Viel mehr als der Laie ahnt. Das Spektrum reicht vom batterietausch in Großvaters Quarzuhr bis hin zur filigranen Komplettrevision einer 200 Jahre alten Schwarzwalduhr. Das Handwerkliche steht im Mittelpunkt, keine Frage – doch unterschätzt man die Rolle des Diagnostikers und Mikromechanikers, der mit Messinstrumenten hantiert, Fehlerbilder analysiert und im Kopf oft schon die Lösung entwirft, während die Kundin noch erzählt. Das mag romantisch klingen, doch zerbrechliche Elastizitäten wie Spiralfedern – die zerdenken einem schnell das romantische Bild. Hier gibt es keine digitale Lernminute, sondern Schraubstock, Lupe, und, ja: Stillstand tut weh. Fehler? Die sind teuer. Und im Zweifel ist manchmal das Material selbst der Gegner. Wer ein wenig masochistisch veranlagt ist – im besten Sinne –, der findet hier sein Eldorado.
Ein Klischee: Der Uhrmacher ist nur Bewahrer des Gesterns. Blödsinn. Moderne Werkstätten in Freiburg schrauben längst nicht mehr nur an Taschenuhren. Smartwatches? Werden zwar selten kaputtgebracht, aber Ersatzteile, Software-Stolpersteine und Mini-Elektronik halten die Betriebe auf Trab. Wer glaubt, hier roste nur der Staub vergangener Jahrhunderte, irrt: Viele Werkstätten investieren in Präzisionsmesstechnik, 3D-Druck für Ersatzteile, Dialog mit internationalen Herstellern. Die Region schlägt den Takt nicht allein durch Schwarzwälder Kuckuck. Hier sitzt eine kleine, feine Szene, die Tradition als Startpunkt – nicht als Endstation – versteht. Zukunft? Digitalisierung, Automatisierung? Ist Thema. Aber echt: Wer keine Angst vor Neuem hat, kann sogar punkten. Wer nur das Alte bewahren will – wird irgendwann selbst Ausstellungsstück.
Ganz ehrlich – Gehälter in diesem Beruf sind selten Anlass für Luftsprünge. Im Regelfall bewegt sich das Einstiegsgehalt in Freiburg zwischen 2.200 € und 2.800 €. Wer einige Jahre Erfahrung mitbringt und sich als echter Techniker (oder als knallharter Spezialist für Komplikationen) etabliert, schafft es bis 3.200 € oder mehr. Klar – davon ist niemand in Freiburg allein Hausbesitzer, aber das Einkommen reicht, bei genügsamem Lebensstil, aus. Die eigentliche Dividende ist emotionaler Natur: Stammkunden, die nach Monaten wiederkehren, ein Taktwerk, das nach Jahrzehnten plötzlich wiederläuft – Orte des Vertrauens, Momente der Genugtuung. Und ja: Tage voller Frust gibt’s gratis obendrein. Wer Routine sucht, ist hier falsch.
Sicher, Freiburg ist nicht Glashütte und nicht La Chaux-de-Fonds. Hier mischt sich badische Gelassenheit mit internationaler Kundschaft und dem ständigen Drang, zwischen Tradition und Innovation zu vermitteln. Viele denkmalgeschützte Häuser, jede Menge Uhren mit Geschichte – nicht selten landet etwas „Unrettbares“ auf dem Werktisch. Und irgendwie landet jeder Uhrmacher irgendwann im Gespräch über Nachhaltigkeit, Handwerksstolz, und die Frage, wie viel Zeit wir eigentlich noch für Präzision haben. Die Ausbildung ist selten Engpass – Bewerber kommen, auch Quereinsteiger, aber: Wer bleiben will, muss wirklich wollen. Weder romantische Verklärung noch Technikgegrummel helfen auf Dauer. Es sind die Details, die zählen – und der Blick für das große Ganze der kleinen Teile. Ahnung, Geduld, ein bisschen Starrsinn. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass Zeit hier mehr bedeutet als bloß Minuten und Stunden. Aber das versteht man erst, wenn man einmal alles auseinandergenommen und wieder zusammengebaut hat.
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