Elis Deutschland | Sulz am Neckar
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Elis Deutschland | Sulz am Neckar
Morgens am Rand des Schwarzwalds, eine klare Linie Nebel über den Hügeln – und irgendwo in einem unscheinbaren Gewerbegebiet tönt das monotone Dröhnen der Webmaschinen durchs Fenster. Nein, hier bei Freiburg wirkt das nicht wie das industrielle Herzland – und dennoch: Wer sich als Textilingenieurin oder Textilingenieur aufs Abenteuer in dieser Region einlässt, kann schnell feststellen, dass die klassische Webstuhldämmerung eine Scheibe ist. Hier schlagen Herz und Hirn für textile Innovation – und das nimmt schnell ganz eigenwillige Züge an. Neuerdings jedenfalls.
Wer meint, es gehe noch um Omas Spitzendeckchen – Pustekuchen. Textiltechnik ist heute eine Disziplin, die irgendwo zwischen Chemie, Maschinenbau, Hightech-CAD und materialwissenschaftlicher Bastelstube oszilliert. Die Aufgaben? Von Faserentwicklung für High-Performance-Sportkleidung über smarte Gewebe bis hin zu textilen Leichtbaukomponenten für das nächste Solarauto. Wer frisch aus dem Studium kommt, merkt rasch: Das Feld ist breit – manchmal verwirrend. Mein erster Besuch in einer Freiburger Entwicklungsabteilung endete jedenfalls mit Kopfrauchen: Textil-Labore, die nach Labor riechen (Sie wissen schon: Lösungsmittel und das feuchte „etwas“ in der Luft), dazu Meetings halb im Badischen, halb im Englisch jener internationalen Klientel, die hier Innovation bestellt.
Man könnte glauben, in einer Stadt voller Fahrräder und urbaner Nachhaltigkeitsrhetorik gehe es nur um Bio-Shirts. Aber die Freiburger Textillandschaft ist, ehrlich gesagt, ziemlich ambivalent: Während eine Handvoll Mittelständler tatsächlich auf grüne Textilien setzen, tummelt sich in F&E-Laboren oder Startups längst eine Generation, die Fasern für Medizintechnik, Architektur oder funktionale Oberflächen entwickelt. Die Nähe zur Schweiz und zu Frankreich? Überraschend wichtig: Zulieferbeziehungen, Projektausgründungen, nicht selten Lehrende oder Köpfe, die ihre Inspiration aus Europa zusammensammeln.
Wer hier startet, sollte vor allem Flexibilität mitbringen. Eine steife Erwartungshaltung („Ich möchte nur Produktentwicklung, sonst nichts!“) verpufft oft. Die Rollenbilder – sie verschwimmen: Vormittags in der Qualitätssicherung, mittags kurze Visite bei der Prozesstechnik, nachmittags Excel in Dauerschleife fürs nächste Forschungsprojekt. Die Gehälter? Zugegeben: Wer vom süddeutschen Automobilwunderland träumt, landet textilseitig manchmal eher mit beiden Beinen auf dem Boden. Zum Einstieg sind 2.800 € bis 3.400 € durchaus realistisch, mit Erfahrung winken auch 4.000 € – aber von den ganz großen Sprüngen lebt die Branche selten. Was viele unterschätzen: In der Nische steckt Lebensqualität. Praktische Gleitzeitmodelle, weniger Akkordkultur als im Metallsektor, familiäre Teams – und ja, nach Feierabend ein Wein auf dem Balkon mit Blick in die Vogesen. Auch das zählt.
Monotone Routine? Kaum möglich – die Branche ist davon weit entfernt. Trends wie E-Textiles, Recyclingverfahren oder die Digitalisierung der Produktion (Stichwort: Industrie 4.0) ziehen immer wieder neue Anforderungen nach, manchmal einen halben Takt schneller als die eigene Lernkurve. Neugier hilft – und ein wenig Demut, wenn selbst die erfahrenen Kolleginnen ratlos an Mikrofasern tüfteln, die sich nicht so benehmen, wie es das Lehrbuch vorsieht. Was viele nicht sehen: Die Nähe zur Universität, die Dichte forschungsaffiner Unternehmen – das erleichtert den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis erheblich. Trotzdem, ein bisschen Unsicherheit bleibt. Aber mal ehrlich: Wer sichere Bahnen will, sollte vielleicht besser Waschmaschinen verkaufen.
Was bleibt? Der Beruf verlangt Anpassungsfähigkeit, technologische Offenheit und ein Quäntchen Entdeckergeist. Der Pfad führt selten kerzengerade – aber langweilig wird es in Freiburg im Breisgau als Textilingenieurin oder Textilingenieur ganz sicher nicht. Und manchmal, an diesen ganz gewöhnlichen Tagen auf dem Werksgelände, kommt man ins Grübeln: Ob die künftigen Smart Textiles eines Freiburger Labors mal irgendwo ganz groß landen – oder einfach nur dazugehören, wie der Nebel über den Schwarzwaldhügeln. Jedenfalls schafft man hier Dinge, die bleiben. Das ist für mich Grund genug, morgens wieder ins Labor zu tapsen.
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