SO/ Berlin Das Stue | 10115 Berlin
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Wer in Berlin den Beruf des Sommeliers anstrebt und dabei vielleicht kein jahrelang gereiftes Selbstverständnis mitbringt, kennt dieses seltsame Vibrieren: Mischung aus Ehrgeiz, latenter Überforderung, und einem ganz eigentümlichen Stadtgefühl, das zwischen Graffiti und Grauburgunder changiert. Auf den ersten Blick mag die Sommelier-Welt hier wie ein exklusiver Kreis wirken, in dem only the strong survive, bevorzugt mit Sprachkenntnissen in Englisch und einer Haltung irgendwo zwischen Understatement und Kontrollverlust. Doch wenn ich ehrlich bin: Berlin spuckt die Klischees gern wieder aus, die anderswo liebevoll gepflegt werden wie eine Rarität im Keller. So gesehen ist die hiesige Gastronomie-Bühne mit ihren Sommelier-Rollen etwa so vorhersehbar wie der Berliner S-Bahn-Fahrplan. Nur authentischer.
Das eigentliche Handwerk als Sommelier ist in Berlin, wie mir nach Jahren im Metier klar wurde, ein Balanceakt zwischen Fachwissen, Entertainment, Dienstleistung und – nicht zu vergessen – einem Schuss Demut. Deklariert wird viel: Herkunft, Ausbau, Nachhaltigkeit. Aber das, was in der Praxis zählt, ist am Ende eine Mischung aus Berater-Nervenkitzel, Logistikjonglage, moderater Konfliktlösungskompetenz (Stammtisch, 21 Uhr, drei Gläser zu viel, Sie wissen schon) und einer gewissen Leidensfähigkeit, wenn der hochgepriesene Orange Wine plötzlich auf der Strecke bleibt. Oder der Kühlschrank defekt ist. Wer jetzt noch glaubt, es gehe nur um das Herunterbeten von Rebsorten und das Rücken von Gläsern, irrt gewaltig: Der Beruf lebt von der Kommunikation, und zwar eben nicht im Stil eines auswendig gelernten Lehrbuchs. Wer das Publikum – und das sind mal Foodies, mal Touristen, mal „ich trink nur Riesling, weil ich's immer so gemacht habe“-Kunden – auf Augenhöhe abholt und sich nicht zu schade ist, auch mal einen unkultivierten Kommentar lächelnd zu kontern, hat schon halb gewonnen.
Jetzt zu einem Thema, das gerne umschifft wird, wenn’s zu nah am Idealbild kratzt: Was verdient eigentlich so eine Sommelier-Person in dieser Stadt? Die Zahlen schwanken, sagen wir’s mal vorsichtig, auf Berliner Art. Wer als Einsteiger startet, landet meist irgendwo zwischen 2.400 € und 2.800 € monatlich. Mit etwas Erfahrung, angehäuften Zertifikaten – und dem berühmten Riecher für das richtige Haus – lassen sich Beträge ab 3.000 € bis in den Bereich von 3.600 € realisieren, je nach Betrieb, Arbeitszeitmodell und dem eigenen Standing. Wer allerdings vom schnellen Aufstieg in den Kaviar-Olymp träumt: Fußböden wischen nach Schichtende und nervenaufreibende Stunden neben ruppigem Küchenpersonal gehören tendenziell immer noch zum Programm. Nicht zu vergessen die Realität: Sommeliers, die in Cocktailbars landen, werden oft weniger bezahlt, als die eigene Erwartung es erhofft hätte. Und trotzdem zieht es viele an. Gerade weil sich in Berlin der Luxus gern unterm Staubmantel verbirgt.
Die eigentliche Magie entfaltet sich dann, wenn man erkennt, wie vielfältig das Arbeitsumfeld mittlerweile geworden ist. Klassische Sternegastronomie trifft hier auf wilde Weinbars aus Kreuzberg, regionale Naturwein-Kollektive und neue Restaurant-Formate, die keinen Wert auf Etikette, wohl aber auf Ehrlichkeit legen. Besonders Einsteiger und wechselwillige Fachkräfte finden heute in Berlin ein Feld vor, das experimentierfreudig, oft auch gnadenlos ehrlich ist – vom Spätkauf bis zum Fine-Dining-Tempel, manchmal beides im selben Kiez. Und ja, die gestiegene Nachfrage nach Bio- und Naturweinen, lokale Produzenten und der allgegenwärtige Nachhaltigkeitstrend fordern, sich ständig weiterzubilden. Ohne Innovationsoffenheit, aber auch ohne Scheu vor handfesten Fehlgriffen, bleibt man hier schnell auf der Strecke. Weiterbildungen? Gibt's, klar – von intensiven Wochenendkursen bis hin zu internationalen Diplomen, wobei letzteres selten automatisch den besseren Job bringt. Die Frage ist eher: Wer will sich draußen im Berliner Berufsverkehr, im grauen Niesel, wirklich permanent neu erfinden? Und wer hält das einfach für heißen Marketing-Dampf?
Am Ende bleibt eine Erkenntnis, die ich keinem Nachwuchs-Sommelier verschweigen will: In Berlin kannst du mit viel Hintergrundwissen glänzen, du kannst dich aber auch im Jungwein ersäufen – und trotzdem ein Publikum finden, das dankbar ist, wenn du einen normalen Abend unvergesslich machst. Die Szene ist schnell, manchmal eitel, oft chaotisch (besonders, wenn der Chef im Urlaub ist), aber sie bietet etwas, was anderswo fehlt: Den Mut zur Lücke, die Freiheit zum Anderssein. Das ist kein Spaziergang und keine Raketenwissenschaft, aber eben auch nicht das vielzitierte easy money – sondern ein Beruf für Menschen, denen der Wein manchmal ehrlicher begegnet als das Publikum. Vielleicht liegt gerade darin der Reiz. Oder, wie einmal ein Kollege aus Charlottenburg im Überschwang sagte: „Hier ist jede Flasche ein neues Kapitel. Nur das Happy End – das muss man sich selbst einschenken.“
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