BFW Berufsförderungswerk Hamburg gGmbH | 20095 Hamburg
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Ganz ehrlich: Wer heute als Grundschullehrerin oder -lehrer in Kiel einsteigt – oder überhaupt darüber nachdenkt, hier die Schulbank auf der anderen Seite zu drücken – muss kein Träumer sein, aber Idealismus hilft. Das Bild vom berufsmüden Pädagogen im verregneten Norden ist jedenfalls hartnäckig, trifft die Realität aber längst nicht mehr. Die Kieler Klassenzimmer haben sich in den letzten Jahren zum Schauplatz leiser, aber nachhaltiger Veränderungen entwickelt. Das schönste? Die Bandbreite an Schülerbiografien, die Vielfalt der Themen – und, ja, auch die oft unplanbaren (manchmal kuriosen) Erfahrungen zwischen Herbststurm und Mathearbeit.
Wer neu startet, erlebt Erstaunliches. Während die Grundschulen landesweit „Fachkräftemangel“ wie ein Mantra vor sich hertragen, ist Kiel eine eigene Bühne: Hier drängen gerade junge Absolventinnen, aber auch Quereinsteiger mit pädagogischem Herzblut ins System. Doch das Klischee vom entspannten Halbtagsjob? Kompletter Unsinn. Unterricht heißt heute: Differenzieren, begleiten, digital experimentieren… und nachmittags noch Elterngespräche führen. Einerseits ist das nervenstark – etwa wenn die neue Tablet-Klasse beim WLAN-Ausfall kollektiv den Stift vergisst. Andererseits sind Kieler Grundschulen oft experimentierfreudiger als gedacht. Es hat wohl mit der Nähe zur Uni zu tun und der typischen norddeutschen Aufgeschlossenheit – es bleibt selten beim alten Trott. Oder, wie mir ein erfahrener Kollege sagte: „Wer hier stillsteht, wird von der Förde weggeweht.“
Bleiben wir kurz nüchtern: Ja, das Gehalt. Für viele das spröde Thema. Je nach Ausbildungsweg starten Grundschullehrer in Kiel irgendwo zwischen 3.500 € und 4.000 €. Klingt viel? Gemessen an der Verantwortung – und dem, was am Ende des Tages auf der To-do-Liste stehen bleibt – relativiert sich das schnell. Die Unterschiede zwischen Beamtenstatus und angestellten Lehrkräften sorgen nach wie vor für Stirnrunzeln – vor allem bei Späteinsteigerinnen. Manchmal fragt man sich: Wie viel pädagogische Überzeugungskraft kann man eigentlich für 3.700 € mobilisieren, wenn die Klasse nach dem gefühlt dritten Sturmtief des Monats kollektiv nach Hause will?
Reden wir über Veränderungen. Digitalisierung? Kommt. Aber sie kommt langsam. Wer glaubt, Unterricht am Meer sei ein Erlebnis für „Digital Natives“, ist schnell irritiert: Häufig läuft es auf die klassische Kreide-und-Tafel-Choreografie hinaus – ganz analog. Manchmal sind die digitalen Medien nur Staffage für Elternabende. Und dennoch – die Initiativen rund um die Kieler Uni, lokale Stiftungen und die Stadt zeigen Wirkung. Die Fortbildungen werden spezifischer, der Austausch interdisziplinärer. Und dann ist da noch das Thema Diversität: In kaum einer anderen Region Norddeutschlands prallen so viele Sprachen, Herkunftsorten und Familiensysteme aufeinander wie im Kieler Stadtgebiet. Wer hier lehrt, muss flexibel sein, Empathie aufbringen, sich auf neue soziale Dynamiken einlassen können. Das kann anstrengend, aber durchaus bereichernd sein.
Ich erinnere mich gut an meinen ersten Tag: Regen peitschte ans Fenster, im Flur klangen zehn verschiedene Sprachen, und ein Schüler wollte wissen, wie man aus „Moin“ ein Gedicht macht. Kiel eben. Vieles ist Improvisation, manches Routine, wenig wirklich planbar. Aber genau das macht für viele den Reiz aus – und kann für Berufseinsteiger wie für wechselfreudige Pädagogen (ob aus Hamburg, Flensburg oder von noch weiter weg) überraschend attraktiv sein. Der Perspektivwechsel, den der Beruf verlangt, ist größer als viele meinen. Vielleicht, weil nirgendwo so schnell von Leseförderung zu pädagogischer Erfindungskraft gewechselt wird wie in einer Kieler Grundschulklasse. Ein Spaziergang durch den Schrevenpark nach Feierabend (sofern man dazu kommt) gibt manchmal mehr Impulse als so manches Fortbildungsangebot.
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