Oberlandesgericht Celle | 21680 Stade
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Wer glauben will, dass man als Gerichtsvollzieher in Kiel bloß Aktenstapel ordnet und abends zufrieden den rechtstaatlichen Feierabendgruß schwenkt, liegt daneben – und zwar gehörig. Das Straßenbild an der Kieler Förde, von steifen Brisen und Fußgängerzonen zwischen Schrevenpark und Hörn geprägt, prägt auch den Alltag dieser recht eigensinnigen Berufsgruppe. Wer einsteigt – sei es frisch aus der Fachausbildung, aus einem verwandten Beruf oder nach Umwegen über andere Ämter – reibt sich nicht selten die Augen. Im Dienstwagen Ahnung und Handschuhe, im Aktenkoffer das Gesetzbuch, im Kopf Pragmatismus gepaart mit Fingerspitzengefühl: So schlägt mittendrin der Pulsschlag des Kieler Gerichtsvollziehers.
Wer einmal Mandantenkontakt hatte, weiß um die Gratwanderung. Papier ist geduldig, Menschen sind es selten. In Kiel treffen Gerichtsvollzieher tagtäglich auf Geschichten, die sich nicht ins Schema pressen lassen: Keineswegs jeder Schuldner ist windig oder prinzipientreu – zu oft bleibt einfach nur eine Mischung aus Pech, persönlicher Not und strukturellen Problemen zurück. Manchmal trifft es die alleinerziehende Mutter aus Mettenhof, dann wieder einen Traditionshändler vom Exerzierplatz. Mal ist Fingerspitzengefühl gefragt, dann wieder ein unmissverständliches Auftreten. Wer sich nicht selbst schützt, droht in der Grauzone zwischen Mitgefühl und Professionalität zerrieben zu werden. Routine hilft – aber sie schützt nicht vor Selbstzweifeln, wenn man abends Bilanz zieht. (Wer behauptet das Gegenteil, verschweigt vermutlich die Wahrheit.)
Reden wir Klartext: Gut leben kann man von diesem Job allemal – zumindest, wenn man mit unregelmäßigen Arbeitszeiten leben kann und sich der psychischen Belastung bewusst ist. In Kiel liegt das Einstiegsgehalt in der Regel zwischen 2.600 € und 2.900 €, mit wachsender Erfahrung und Zusatzqualifikationen sogar jenseits der 3.200 € möglich. Manch erfahrener Kollege murmelt, bei sehr guter Auslastung seien 3.500 € bis 3.800 € keine Fantasie. Aber Geld ist nur eine Seite – oft ist der Wert der eigenen Arbeit schwerer zu beziffern: Mal fühlt man sich als Erfüllungsgehilfe, mal als Sozialarbeiter im rechtlichen Korsett. Wertschätzung? Kommt vor. Häufig bleibt es bei rauer Sachlichkeit; ein warmes Dankeschön ist selten, aber ungemein ehrlich.
Die Stadt Kiel ist dabei mehr als nur Kulisse. Das Sozialgefüge ist bunt, die Distanz zwischen Altbauvilla in Düsternbrook und Wohnblock in Gaarden beträgt manchmal mehr als nur ein paar Straßenbahnminuten. Man lernt, sich schnell auf Gegenüber einzustellen – sei es an der Haustür, im Gewerbe oder bei sensiblen Familienfällen. Und, ehrlich gesagt: Das norddeutsche Temperament kommt Gerichtsvollziehern eher entgegen. Hanseatische Nüchternheit hilft, wenn Emotionen hochkochen. Was viele vergessen: Kiel leidet zwar nicht unter massiver Wohnungsnot wie München oder einer exorbitanten Armutsquote wie Berlin, aber die Lebensrealitäten klaffen dennoch auseinander. Besonders in Krisenzeiten wird das zum Prüfstein. Aber vielleicht ist es gerade diese Mischung, die den Job hier reizvoll – und fordernd – macht. Kein Tag gleicht dem anderen, kein Fall dem nächsten. Wer den städtischen Mikrokosmos akzeptiert, entwickelt einen sechsten Sinn für Zwischentöne; das bleibt, wage ich zu behaupten, Karriere-unabhängig.
Ja, die Digitalisierung hält auch bei Gerichtsvollziehern in Kiel Einzug: Aktenführung, Kommunikation mit Gläubigern, Zugriff auf digitale Register – das alles läuft längst nicht mehr nur per Handakte. Wer den Sprung Richtung moderne Verwaltung sucht, sollte sich mit entsprechenden Tools anfreunden. Anders als manchmal angenommen, ist man kein einsamer Wolf – Austausch im Kollegium hilft, Sachverhalte sauber einzuschätzen und in der Balance zu bleiben. Wer länger im Geschäft ist, weiß: Regelmäßige Fortbildungen sind kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Neue rechtliche Rahmenbedingungen, veränderte Vollstreckungsverfahren, Besonderheiten im Datenschutz: Wer dabei nicht am Ball bleibt, verliert an Souveränität. Und ehrlich, nichts ist unangenehmer, als vor Ort einen Formfehler zu machen.
Manchmal frage ich mich: Warum tut sich jemand diesen Job überhaupt freiwillig an? Vielleicht, weil man hier in Kiel mehr als bloß ein Sachbearbeiter am äußersten Rand des Justizsystems ist. Vielleicht, weil jeder Tag die Chance birgt, der eigenen Arbeit einen Hauch von Sinn zu geben – und sei es nur für den selbst gesetzten Maßstab. Wer bereit ist, sich auf den Kieler Alltag zwischen Gesetz und Gesellschaft einzulassen, dem wird mit der Zeit klar: Gerichtsvollzieher in dieser Stadt zu sein, ist so wenig Routine wie Ebbe und Flut in der Förde. Und darin liegt, so unplanbar das klingt, eine gewisse Würde – so jedenfalls empfinde ich das.
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