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Das Erste, was mir auffällt, wenn ich an Games Entwicklung in Kassel denke: Hier ticken die Uhren anders als in Berlin oder Hamburg. Ruhiger vielleicht, sachlicher, aber selten leise. Wer meint, abseits der großen Metropolen bleibt nur das digitale Brachland, sollte sich mal einen Abend in einem Kasseler Studio gönnen – oder besser: ein paar Wochen Realität. Es gibt sie, diese kleinen Teams, die nachts Pizza und Red Bull teilen, weil sie an irgendwas Feinem basteln. Und es gibt sie – das ist kein Geheimnis –, die jungen Wilden, die in barocken Hinterhöfen über den nächsten Algorithmus für vertrackte KI-Gegner grübeln. Alles andere als provinziell, möchte ich behaupten.
Games Entwickler, das klang für meine Oma immer nach „Computerfreak ohne Jobgarantie“, aber damit macht man sich heute keinen Begriff mehr. Zwischen Codezeilen und Skripting, Leveldesign und Physiksimulation: Der Alltag ist ein wilder Flickenteppich aus Technik, Kreativität und pragmatischem Teamwork. Die Aufgaben? Von Unity und Unreal-Experimenten bis hin zu originellen Selfmade-Tools, die auf das Kasseler Klima zu passen scheinen – ein bisschen understatement, viel Experiment, wenig Zeit für Eitelkeiten. Berufseinsteiger erwarten, so mein Eindruck, meist ein Korsett aus klar definierten Jobs. Die Wirklichkeit? Eher ein Sammelsurium: Wer ausschließlich coden will, landet schnell im Irrgarten. Viele Studios in Kassel – und davon gibt es inzwischen bemerkenswert mehr als man denkt – suchen nach Menschen, die zwischen den Welten wandeln. Codezeile, dann Skizze, kurz ein Meeting, und weiter mit der Fehlerjagd. Fortschritt entsteht hier häufig an den Rändern des Fachgebietes.
Bleibt die Gretchenfrage (man sieht, ich lebe nicht nur in Pseudocode): Was ist das Ganze wert? Finanziell, meine ich. Wer als Einsteiger startet, darf mit 2.800 € bis 3.200 € rechnen; erfahrene Entwickler landen nicht selten bei 3.400 € bis 3.800 €, manchmal mit Luft nach oben, falls Publishing, Projektleitung oder Spezialisierung auf KI-Themen hinzukommen. Verheißungsvoll? Nicht für jeden – und doch: Die Lebenshaltungskosten in Kassel sind überschaubar, die Mittagspause findet öfter im Park statt als als in der Großstadtdisco, und Hektik ist selten Chef im Büro. Was viele unterschätzen: Der Austausch zwischen den Disziplinen, die Nähe zu künstlerischem Milieu – nicht zuletzt wegen der Kunsthochschule – und der Draht zu lokalen Innovationszentren wie dem Science Park bringen einen besonderen Schub. Hier wird Wissen oft auf Zuruf geteilt; Tech-Talk und Improvisation gehen Hand in Hand. Manchmal, klar, macht das nervös. Bei größeren Studios geht es organisierter zu, in kleineren Teams zählte mitunter (noch) mehr das Bauchgefühl als der perfekte Scrum-Board-Eintrag.
Kassel wird gern unterschätzt, nicht nur touristisch. Im Games-Bereich zeigt sich das in einer Mischung aus Understatement, Netzwerk und eigenwilliger Innovationskraft. Man stolpert nach Feierabend schon mal auf ein Symposium rund ums Thema „Serious Games gegen Fachkräftemangel“ – oder wird im Café zur Präsentation eines VR-Demoprojekts eingeladen, das für einen lokalen Mittelständler umgesetzt wurde. Was das mit den eigenen Jobchancen zu tun hat? Mehr als man denkt: Der Austausch mit anderen Disziplinen – Maschinenbauer, Designer, Didaktiker – ist in Kassel öfter Alltag als Ausnahme. Mein Eindruck: Wer flexibel zwischen Aufgabenfeldern springt, sich auf wechselnde Technologien einlässt und nicht in starren Mustern denkt, kann in dieser Stadt auch ohne Berliner Rampenlicht sichtbar wachsen. Die kritische Masse? Noch am Werden, aber mit erstaunlich viel Substanz. Klar – den gänzlich sicheren Hafen gibt es auch hier nicht, aber ziemlich viele Weggabelungen, die kreative Neugierde belohnen. Wer dafür brennt, gerade die kleinen Lücken zwischen den klassischen Disziplinen zu füllen, wird in Kassel selten lange stehenbleiben.
Was bleibt? Das Bild eines Berufsfelds, das bei aller Spezialisierung immer noch Platz für Unangepasste, Querdenker, Systemwechsler bietet. Nicht das große Blingbling, sondern Entwickeln als handfeste Teamleistung – mit gelegentlichen Ecken und Kanten. Vielleicht ist es genau das, was Kassel für Games Entwickler so besonders macht. Oder irre ich mich? Möglich. Aber manchmal genügt es, mitten in Deutschland am Rechner zu sitzen, den Regen aufs Atelierfenster prasseln zu hören – und zu merken: Mitten im vermeintlichen Hinterland lässt sich digital ein ganzes Stück Zukunft bauen.
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