medialog GmbH & Co. KG | Baden-Baden
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Der Titel klingt nach Schreibtisch, rotem Füller und langen Diskussionen in verrauchten Hinterzimmern. Im 21. Jahrhundert – speziell in Stuttgart – sieht die Realität anders aus. Wer sich als Chefredakteur hier wiederfindet, taucht ein in einen Beruf, der irgendwo zwischen Leitplanke und Sprungbrett balanciert. Eigentlich sollte ich als Außenstehender schön sachlich bleiben, aber ich gestehe: Die Faszination für diesen Job, gemischt mit Verwunderung über manche Strukturgewohnheit der schwäbischen Presselandschaft, lässt mich nicht ganz los.
Was oft unterschätzt wird: Chefredakteure ticken selten wie Beamte am Band. Wer morgens das Redaktionssystem hochfährt, hat nie volle Kontrolle: Interviews platzen, Themen schlagen Wellen oder werden totgeschwiegen, digitales Feedback prasselt ungefiltert herein. Im Idealfall steuert man als Chefredakteur nicht bloß Themen und Teams, sondern setzt Akzente. Ab und zu darf man sogar noch einen eigenen Leitartikel platzieren – zumindest wenn die Zeit reicht zwischen Budgetdebatte, Krisenkommunikation und Techniksprints, die in einem Medienstandort wie Stuttgart inzwischen dazugehören wie Spätzle zum Mittag.
Jetzt könnte man meinen, Redaktion bleibt Redaktion. Falsch gedacht! Wer Stuttgart sagt, denkt an Hochtechnologie, Automobil, politische Diskurse mit Stallgeruch. Genau das prägt auch die Medienlandschaft. Hier buhlen Lokalblätter und Fachmagazine meisterhaft um Relevanz zwischen Wirtschaftsriesen und wechselwilliger Leserschaft – ein Spagat, der den Chefredakteur zum übersetzten Moderator von Interessen und Empörungswellen macht. Wer in Esslingen oder Vaihingen Kolleg:innen fragt, hört Sätze wie: „Hier zählt, was morgen auf dem Werktisch landet – nicht, was gestern viral war.“ Ich sage: Ein schmaler Grat zwischen Bodenhaftung und Innovationsdruck. Und klar, manchmal landet das Handy auf dem Schreibtisch, weil der Technologietrend wieder alles auf den Kopf stellt und der Verlag nach Tempo brüllt.
Darf man über Geld reden? Ich finde schon. Das Gehalt eines Chefredakteurs in Stuttgart – man glaubt es kaum – schwankt je nach Haus und Reichweite ordentlich: Zwischen 4.200 € und 7.000 € kann der Einstieg liegen, in gut aufgestellten Häusern sind 8.000 € bis 10.000 € möglich, Spitzenverdiener schaffen gelegentlich mehr. Aber: Mit Geld allein lockt man keine Visionäre mehr an den Neckar. Gefragt sind inzwischen digitale Agilität, Führungskompetenz und ein manchmal nervtötender Spagat zwischen Tradition und Disruption. Was viele unterschätzen: Die Anforderungen wachsen, die Entscheidungsfreiheit nicht immer im gleichen Maße.
Die Versuchung, sich auf die klassische Ausbildung zu verlassen, ist groß – besonders wenn man sich auf seinen Stallgeruch, sprich: die lokale Verankerung, stützt. Aber wer hier stehenbleibt, hat verloren. Die großen Medienhäuser wie auch spezialisierte Redaktionen fordern mittlerweile eine digitale Grundausstattung, die von Faktenverifikation bis Datenjournalismus reicht. Fortbildungen boomen, hybride Redaktionsmodelle sprießen. Niemand, wirklich niemand, der länger als fünf Jahre im Chefredakteursstuhl überlebt hat, verlässt sich auf alte Rezepte. Weiterbildung ist keine Kür mehr, sondern Pflicht – und manchmal fühlt sie sich wie ein Parcours mit Hindernissen an.
Bleibt am Ende die Frage: Wozu das alles, gerade in Stuttgart, wo Effizienz manchmal wichtiger ist als Strahlkraft? Vielleicht, weil echte Relevanz selten bequem, aber immer nötig ist. Wer als Chefredakteur Horizonte erweitern will – nicht nur seine eigenen, sondern die einer ganzen Stadtgesellschaft – braucht ein dickes Fell, Neugier und manchmal auch das Talent, Irrtümer charmant zu verteidigen. Oder, wie ein altgedienter Kollege sagte: „Hier muss man schneller denken als die Schlagzeile.“ Ich sage: Eine verdammt ehrliche Beschreibung.
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