bib International College | 33098 Paderborn
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Strauss GmbH & Co. KG | 99986 Niederdorla
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Ganz ehrlich, wenn ich an Kassel denke, sträubt sich in mir erst mal nichts. Die Stadt wirkt auf den ersten Blick vielleicht nicht wie das natürliche Biotop für Kreativkarrieren – Berlin spukt da schneller im Hirn rum. Aber täuschen sollte man sich nicht: Wer als Art Director in Kassel unterwegs ist oder es werden will, merkt schnell, dass die Rahmenbedingungen hier erstaunlich variantenreich und, ja, manchmal auch widersprüchlich sind. Vielleicht ist das genau der Reiz – oder die Zumutung –, der diesen Beruf gerade hier so anspruchsvoll und reizvoll macht.
Der Beruf? Vielschichtige Mischung aus konzeptionellem Kopfkino, steuernder Hand und, nun ja, Konfliktmanagement. Man ist das Auge der Marke, der Wächter über Bildsprache und – nicht zu unterschätzen – der Dolmetscher zwischen gestaltungswütigem Kreativteam und pragmatischer Kundenwelt. In Kassel fühlt sich die Rolle oft noch etwas handfester an als anderswo. Der Mittelstand ist stark, verschiedenste Branchen – Maschinenbau, Healthcare, Agenturen für mittelständische Kunden. Die Projekte: Mal durchgängig digital, aber oft mit klassischen Print-Frequenzen. Nicht selten sitzt am Tisch jemand mit Faible fürs Haptische. Das macht die Position spannend, aber auch sperrig. Und wenn du nicht flexibel bist: schwierig.
Vielleicht klischeehaft – aber in Kassel tanzt das Thema Nachhaltigkeit durch viele Briefings. Gerade seit der documenta hat sich die Szene geöffnet: Für grüne Kommunikation, für lokale Hersteller und Hidden Champions. Digitalkompetenz, Typografie, Foto- oder Bewegtbildideen? – Muss heute alles laufen, klar. Doch was viele unterschätzen: Die Kundschaft vor Ort prüft auf echte Substanz. Hochglanz und Buzzwords kommen hier nicht unbedingt besser an als eine gute, bodenständige Gestaltung (ein Wort, das tatsächlich manchmal noch zu hören ist). Ob das die Arbeit erleichtert? Kommt drauf an, wie realitätsnah man selbst tickt.
Wie steht es um die Kohle? Wer wenig Erfahrung mitbringt, sollte nicht mit Münchner Agenturgehältern liebäugeln. Einstiegszahlen bewegen sich oft bei 2.800 € bis 3.200 €; mit ein paar Jahren Praxis und typischer „Ich kann alles, aber niemand weiß es“-Attitüde lassen sich 3.400 € bis 4.000 € erreichen – vorausgesetzt, das Portfolio hat Substanz. Leitungsfunktionen, etwa in größeren Agenturen, sind rar gesät, zahlen aber durchaus Richtung 4.500 € bis 5.200 €. Doch Vorsicht: Die Szene kennt sich, Übermut steht hier selten auf der Gehaltsabrechnung. Was viele unterschätzen: Nebenevents und temporäre Projekte (man denke an die Realisierung von Installationen für die Kunsthochschule oder Stadtentwicklungsprojekte) bieten manchmal mehr Entwicklungsspielraum als der reine Titel.
Bleibt die Frage, warum sich der Aufwand lohnt. Kassel erscheint vielleicht unscheinbar – aber die kreative Basis, die Nähe zu Hochschulen und das stoische Durchhaltevermögen der Branche sorgen dafür, dass hier vieles möglich ist. Steile Lernkurven, enge Kontakte zu Kunden, und diese spezielle Schnittmenge aus Kulturbewusstsein und ökonomischer Erwartung – das prägt. Es gibt Tage, an denen man geneigt ist zu sagen: Ein bisschen wie Kunstvermittlung für Fortgeschrittene, manchmal fast Survival-Training im Pitchraum. Wer sich traut, den Balanceakt zwischen Experiment und Lokalpatriotismus auszuhalten, wird nicht enttäuscht. Wirklich nicht.
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