Media University of Applied Sciences | Frankfurt
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Man muss nicht lange um den heißen Brei reden: Politolog:innen werden selten mit offenen Armen empfangen – zumindest, wenn sie frisch von der Uni kommen und alle glauben, sie wollten nur Politik erklären und keine machen. Wiesbaden, diese Stadt mit eigenwilliger Mischung aus Behäbigkeit und reformerischem Eigensinn, hält in diesem Punkt allerdings ein paar Überraschungen bereit. Wer erwartet, dass hier alles Berliner Tempo hat, liegt ohnehin falsch. Dafür gibt es andere Spielregeln. Aber auch Chancen – wenn man weiß, wo der Hase läuft (oder besser: wo er gerade gräbt).
Die alten Klischees von trockenem Aktenstudium oder hitzigen Wahlkampfdebatten passen nur zum Teil. In der Praxis – und das spüren gerade Einsteiger:innen recht schnell – ist der Berufsalltag extrem facettenreich. Politolog:innen in Wiesbaden? Die sitzen nicht nur im Landtag oder kreisen um Ministerien. In der Stadtverwaltung, bei Stiftungen, in Beratungshäusern oder Bürgerinitiativen werden politische Analysen und Moderation dringend gebraucht. Oft sind sie das Scharnier zwischen amtlicher Trägheit, wirtschaftlichen Interessen und dem, was man mit etwas Mut noch „Zivilgesellschaft“ nennt. Wer sich dabei allein im Theorien-Universum verliert, wird rasch auf den Boden der verwaltungspraktischen Tatsachen geholt. Das ist keine Raketenwissenschaft – aber eben auch kein Spaziergang.
Schnell zum Geldthema, das man eigentlich am liebsten verdrängt: Der Sprung ins Berufsleben verläuft für Politolog:innen selten mit dem goldenen Handschlag. In Wiesbaden bewegt sich das Einstiegsgehalt meist zwischen 2.800 € und 3.300 € – je nach Arbeitgeber, Tarifbindung und persönlicher Flexibilität. Wer schon Erfahrungen bei Landesbehörden oder als wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in gesammelt hat, landet öfter am oberen Ende der Skala. Klingt auf dem Papier besser, als es sich anfühlt, wenn die Miete fällig ist, und man sich fragt, warum ein dualer Wirtschaftsinformatiker schon nach zwei Jahren mehr verdient. Vielleicht bin ich da zu skeptisch – aber viele unterschätzen schlicht, wie sprunghaft Gehaltsentwicklungen in diesem Bereich sein können: Zwischen Projektförderung, befristeten Verträgen und der Lust auf permanente Weiterbildung finden sich wenig Konstanten.
Was viele nicht sehen: Wiesbaden ist als Standort für Politolog:innen eine Art politisches Biotop. Einerseits ist hier das Herz der hessischen Landespolitik, andererseits ist das gesellschaftliche Klima häufig konservativer als etwa im benachbarten Mainz – von Frankfurt ganz zu schweigen. Das eröffnet einerseits Chancen zur Gestaltung, etwa in Initiativen oder im öffentlichen Diskurs, erfordert aber auch Fingerspitzengefühl für Zwischentöne. Wer Themen wie Integration, Digitalisierung oder Klimapolitik anpacken will, trifft oft auf tradierte Strukturen. Manchmal frage ich mich, ob es nicht gerade dieser beständige Widerstand gegen zu schnellen Wandel ist, der viele junge Politolog:innen erst recht anzieht – dieser Reiz, das scheinbar Unmögliche wenigstens anzustoßen.
Was bleibt – und das ist für Einsteiger:innen wie für Wechselwillige gleichermaßen spannend – ist die Notwendigkeit zum ständigen Nachjustieren. Es gibt in Wiesbaden zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten: Von workshops zu Kommunikationsstrategien, Konfliktmanagement bis hin zu Verwaltungsrecht – das Portfolio ist nicht zu unterschätzen. Die eigentliche Kunst besteht jedoch darin, Nischen zu entdecken, die nicht jeder sieht: Bürgerbeteiligung in Randbezirken, die Vermittlung zwischen Generationenräten und Verwaltung oder Impact-Analysen zu Mobilitätsprojekten. Gerade das kleinteilige, oft Unauffällige kann hier zum Sprungbrett werden. Oder, um es pointiert zu sagen: Wer nur darauf wartet, dass ihm die perfekte Politologen-Stelle zufliegt, wird vermutlich lange warten. Wer sich aber in die lokalen Untiefen wagt, stößt auf überraschende Gestaltungsräume.
Mein Eindruck? Politolog:innen, die in Wiesbaden ankommen, erleben keine Glanzkarriere mit rotem Teppich. Sie erleben Reibung, hitzige Debatten, bürokratische Hürden und – ja, manchmal auch ein gutes Maß Ernüchterung. Aber selten Routine. Für Menschen, die politische Zusammenhänge durchdringen und gestalten wollen, die keine Angst vor Ambivalenzen haben, ist Wiesbaden ein ziemlich echter, gelegentlich sogar inspirierender Ort. Klingt nicht nach Werbeslogan? Gut so.
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