Forschungszentrum Jülich GmbH | 52428 Jülich
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Was darf man eigentlich erwarten, wenn man als Biotechniker in Bonn startet? Vielseitigkeit, das ist sicher die berühmte Kurzantwort. Aber sobald ich an meinen zweiten Tee des Tages denke (der erste steht oft noch kalt auf der Ablage, wenn man wieder mal spontan ins S2-Labor sprinten muss), blitzt schon das erste klitzekleine Aber durch diesen optimistischen Schleier. Wer hier mit dem Kopf durch die Wand will, lernt ziemlich schnell, dass Biotechnik kein One-Man-Showgeschäft ist. Im Bonner Kosmos landen viele Talente zwischen Rhein und Uni – und mehr als einmal verspürt man den ganz eigenen Druck dieser Region, die längst auf den Biotech-Zug aufgesprungen ist.
Zunächst, das bonn-typische Nebeneinander fällt auch im Biotech-Umfeld auf: Ehemalige Regierungsbüros, dicht an dicht mit jungen Start-Ups, daneben Traditionsunternehmen, deren Fassade meistens nach Grundkurs Chemie riecht. Der Begriff „Cluster“ kommt einem spätestens dann wieder in den Sinn, wenn man bei nettem Nieselregen den Bus nach Bonn-Endenich zur nächsten Schicht nimmt. Die Stadt lotet seit Jahren die Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft aus. Konkret? Pharma, Agrartechnik, medizinische Diagnostik – das alles ist längst mehr als ein hübsches Schaubild für Branchenpräsentationen. Man hört im Labor Gespräche über CRISPR, Nanopartikel und bakterielle Produktionssysteme, aber daneben auch die uralten Fragen zu Dokumentation, Sicherheit, Routineanalysen. Ob das jetzt sexy ist? Rätselhaft.
Was viele unterschätzen: Biotechniker in Bonn sind meist weit entfernt von dumpfer Pipettierarbeit. Die Tage, an denen man stumpf Proben verschiebt, sind die Ausnahme – das meiste ist unerwartet interdisziplinär. Gerade die Nähe zur Uni Bonn und das enge Netz mit Forschungsinstituten schlagen spürbar durch, wenn wieder „mal eben“ Englisch in der Teamrunde gebraucht wird (und dann reicht das Schulniveau eben selten). Ich bemerke, wie leicht eine Woche mit Projektdokumentation, Kalibrierungsplänen und Troubleshooting im Gerätepark verschwindet. Es braucht analytischen Durchblick, oft Nerven wie Stahl und gelegentlich eine Portion Humor, wenn mal wieder eine Versuchsreihe verunglückt. Wer gerne eigensinnige Lösungen präsentiert oder den Dialog mit promovierten Kolleginnen sucht, muss sich nicht verstecken – ganz im Gegenteil.
Wirklich sprechen muss man darüber: Geld. Das Einstiegsgehalt rangiert in Bonn, auch nach meinen Gesprächen mit Kollegen in ähnlichen Firmen, meist um die 2.800 € bis 3.100 €. Mit etwas Erfahrung kann das auf 3.200 € bis 3.600 € klettern – große Versprechungen sollte aber niemand erwarten, die goldenen Biotech-Jahre gibt es weder in Köln noch hier. Was viele nicht einpreisen: Manche Institute zahlen nach Tarif, andere nach reiner Leistungslaune des Chefs (was einen gelegentlich ins Grübeln bringt). Mir ist jedoch wichtiger geworden, wie viel Eigenständigkeit ich einbringen kann – reine Routine ist nichts für Menschen mit Forscherdrang.
Die Bonner Biotechnik ist ein Mikrokosmos im Wandel – von den klassischen Analytik-Jobs über Produkttests bis in die molekularbiologischen Spin-Offs, die hier manchmal regelrecht aus dem Boden schießen. Es gibt Wochen, da meint man, die Branche wird von großen Zukunftsversprechen getragen, dann wieder schleichen sich Zukunftsängste ein, sobald irgendwo ein Institut fusioniert oder das nächste Sparpaket ausgerufen wird. Was das für Einsteigerinnen und Wechselwillige bedeutet? Einen gesunden Pessimismus, eine Prise Neugier und: Mut zur Weiterbildung. Wer meint, mit einem Abschluss sei alles erledigt, wird in Bonn irgendwann links liegen gelassen – Laborroutinen ändern sich, die Instrumente erst recht. Und ganz ehrlich: Ohne Flexibilität und gelegentlich eine Extraportion Idealismus ist man hier fehl am Platz.
Es klingt nach Klischee, ist aber wahr: Im Bonner Biotech-Alltag merkt man früh, dass Karrieren selten geradlinig verlaufen. Manche Kollegin taucht nach Jahren im Diagnostiklabor plötzlich als technische Leitung in einem Start-Up auf, ein anderer wechselt kurzerhand vom Anlagenbau in die Pflanzenbiotechnologie. Bonns Szene lehrt Flexibilität, aber auch Durchhaltevermögen – und manchmal hilft es, über den eigenen Schatten zu springen und sich auf neue Methoden, Teams und manchmal widersprüchliche Arbeitskulturen einzulassen. Ist das immer bequem? Nein. Aber es bleibt spannend – und das zählt für viele von uns letztlich mehr als tausend gut gemeinte Branchenprospekte.
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