KARL JÜRGENSEN | 20095 Hamburg
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KARL JÜRGENSEN | 20095 Hamburg
Es gibt Berufe, da stellt sich nicht sofort ein Gefühl von Bedeutung oder Glamour ein. Anzeigendisponent – ein Wort, das draußen vor der Tür selten schillernde Augen macht. Und doch, je länger man hinschaut, erkennt man zwischen den Zeilen ein überraschend facettenreiches Feld. Vor allem, wenn die Kulisse Kiel heißt: Ostseenähe trifft hanseatische Nüchternheit, dazu eine Medienlandschaft, die sich seit Jahren im Spagat zwischen Tradition und Digitalumbruch versucht. Als Berufseinsteiger fühlt man sich da manchmal wie auf einer dieser alten Fähren: Alles schaukelt, aber irgendwie bleibt der Kutter auf Kurs.
Theoretisch: Anzeigen verkaufen, buchen, verwalten, kalkulieren. Praktisch: Kommunikationsdrehscheibe im kleinen Kosmos der lokalen Wirtschaft, gelegentlich auch Seelentröster. Ein Auftrag, der auf Papier trocken klingt, wird im Arbeitsalltag schnell zu einem Mix aus Zahlenjonglage und menschlicher Feinfühligkeit. Zwischen Werbetreibenden, die sich gerade über den Umbau in der Holstenstraße ärgern, Redaktionen, die Anzeigen schnell unterbringen müssen, und Technikspezialisten, die gleich wieder ein neues Buchungstool vorgestellt haben. Da muss man – ob als Einsteiger oder alter Hase – mehr als nur ein Tabellenblatt beherrschen. Manchmal reicht ein einziger falsch betonter Satz am Telefon, und schon steht die Wochenendausgabe mit einer halbleeren Titelseite da. Mag übertrieben wirken; ist aber so. Ich frage mich jedenfalls regelmäßig, wie es ohne Improvisation und Fingerspitzengefühl überhaupt weitergeht.
Kiel hinkt nicht hinterher – zumindest was die Modernisierung von Medien- und Verlagshäusern betrifft. Die letzten Jahre waren geprägt von schrittweisen, manchmal auch abrupten Systemwechseln. Kaum hatte man sich an eine Online-Buchungsmaske gewöhnt, schon hieß das Zauberwort Self-Service-Portal. Die Zeiten, in denen der Anzeigendisponent ausschließlich mit Kleinunternehmern im Kieler Umland Preise diskutierte, sind vorbei. Heute wird von fast allen Seiten „Multi-Channel-Kompetenz“ erwartet: Print, Web, Social Media – im Idealfall in einem Atemzug. Vermutlich kommt bald das Local-TikTok-Ads-Feature, und dann heißt’s wieder: Einarbeiten, ausprobieren, Scheiternserfahrungen sammeln.
Klar, Geld spielt eine Rolle, auch wenn keiner laut darüber spricht. In Kiel liegt das Einstiegsgehalt meist zwischen 2.300 € und 2.600 €, was für die Region als solide gilt – größere Verlagshäuser zahlen gelegentlich auch 2.800 € oder mehr. Mit wachsender Verantwortung, insbesondere bei Spezialprojekten (Stichwort: crossmediale Sonderwerbeformen), sind 3.000 € bis 3.400 € absolut drin, vielleicht sogar darüber, wenn jemand eine seltene Digitalnische abdeckt. Der große Wurf? Naja, er wird aus diesem Berufsbild selten, aber das Risiko, sich in prekären Nebenerwerbsstrukturen zu verlieren, ist in Kiel tatsächlich geringer als anderswo. Ich habe den Eindruck, dass Verlage und Medienhäuser seit Corona etwas behutsamer mit ihren „Anzeigenmenschen“ umgehen, – was Wertschätzung betrifft, jedenfalls im Tagesgeschäft.
Was viele unterschätzen: Es geht kaum um das perfekte Fachrepertoire, sondern ums Spiel auf verschiedenen Ebenen. Ein wenig wie unberechenbares Wetter an der Kieler Förde. Wer als Anzeigendisponent arbeitet, braucht Empathie, Standfestigkeit und eine wahnsinnige Frustrationstoleranz, wenn Anzeigenkunden zum dritten Mal stornieren oder Reihenhausbesitzer nach Verhandlungsmasse suchen, als ginge es um Gebrauchtwagen. Und wie ernst man das mit den „Soft Skills“ nimmt: In keiner Stellenanzeige steht, dass Humor und Geduld die eigentliche Währung im lokalen Tagesgeschäft sind. Aber ohne sie? Kann man das in Kiel tatsächlich gleich vergessen. Auf der anderen Seite ergeben sich Freiheiten: Die Hierarchien sind flach, der Bezug zum Produkt ist greifbar – und wer Veränderungen nicht fürchtet, findet sich schneller als erwartet in neuen Verantwortungsfeldern wieder. Oder, um es platt zu sagen: In diesem Beruf bleibt keiner dümmer, der ein wenig offen bleibt.
So, und jetzt Butter bei die Fische – denn in Kiel läuft vieles etwas entspannter, aber manchmal auch eigenwillig. Wer hier im Anzeigengeschäft landet, merkt schnell: Beziehungsarbeit schlägt Hochglanz-Betriebswirtschaft. Das Moin am Telefon ist kein Floskel, sondern der halbe Auftragsschluss. Fachlich dominieren vor allem Verlage, lokale Anzeigenblätter und einige mittelständische Dienstleister mit überraschend kurzen Entscheidungswegen – keine apokalyptischen Konzernlabyrinthe. Weiterbildungen gibt’s, meist hausintern oder über die lokalen Industrie- und Handelskammern, aber der Schlüssel zum Weiterkommen bleibt: Eigeninitiative. Also ausprobieren, rein beißen, weiterdenken. Vielleicht ist es das, was diesen Beruf – trotz seiner spröden Außendarstellung – in Kiel zu einer unterschätzten Option für jene macht, die lieber im echten Leben stehen als im luftleeren Raum unnützer Tabellen.
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